Eine Schande für eine reiche Gesellschaft. Diese Flaschensammler. Schon alleine der Begriff. Natürlich geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander, natürlich haben Schlecker, Setra, Opel und andere Arbeiter und Angestellte Angst um ihren Arbeitsplatz, genauso freuen sich die Mitarbeiter erfolgreicher Unternehmen an ihren Boni. Und während jetzt noch ein paar wenige nach durchfeierter Nacht Nachhause wanken klappert der Flaschensammler am Pfingstsonntag Morgen die Müllereimer ab. Marienplatz Stuttgart. Der Flaschensammler, der Betreiber des Cafes, und ich. Mehr sind nicht zu sehen.
Die üblichen Spuren eines lauen Samstagabends liegen noch herum. Kippen, die weißen Plastikbecher weil die Kids den Wodka immer noch nicht pur sondern gemixt trinken und hier am Marienplatz auch reichlich Fastfood Verpackungen. Der Burgerkönig hat an einer Ecke des Platzes eine Filiale - da wundert mich nix. Marienplatz, die “Talstation” der Zacke, der Stuttgarter Zahnradbahn.
Noch ist Taxiersatzverkehr. Nachts fährt die Zacke nicht. Er kehrt noch immer sein Cafe aus. Von der Endstation der Bahn schau ich auf die Rampe über die Hauptstätter Straße, wenig Verkehr, kein Zug in Sicht. Irgendwo schlägt’s acht. Die Rampe ist für Fußgänger gesperrt. Einzusehen.
Ein Hauch von Ghetto, der vergitterte Basketball Platz. Ist doch eh nicht unser Spiel, Fußball würde vermutlich aber zu viel Krach machen. Die Stadt hält den grünen Tartanbelag des Spielfelds für eine Grünfläche, so jedenfalls die Ver- und Gebotstafel an der Anlage. Noch zwei Vandalismus geschützte Tischtennisplatten, jetzt amüsiert euch schön .
Der eine oder andere Balkonraucher sieht mich. Ich bin froh, dass ich das überwunden habe.Die Preis der am Straßenrand abgestellten Autos verhält sich proportional zu den langsam zurückgelegten Höhenmetern und wer Stuttgart kennt weiß dass da schon im Kessel ordentliche Fahrzeuge unterwegs sind. Ich schaue mir von aussen die Häuser an. Auch hier ein qualitativer Unterschied mit den Höhenmetern. Im Augenblick bin ich auf einem junges urbanes studentisches Niveau. Die 4 bis 12 Klingeln sind fast alle mit zwei Namen alle Briefkästen mit “keine Werbung bitte” beschriftet. Die Aufkleber gegen Stuttgart21 sind direkt sichtbar am Gartentor und im Fenster angebracht.
Die Zacke nimmt ihren Betrieb auf. Eine Bahn fährt direkt aus dem Depot nach Degerloch, die andere stellt die Weiche um, fährt zum Marienplatz. Ich entferne mich von den Gleisen, laufe eine Schleife über Mühlrain und Pfaffenweg. Hier sind’s dann Generationenhäuser denke ich mir, die Namen A+M. XXX und J+G XXX-YYY und oft auch noch P. XXX + L. ZZZ. Genau, bei der mittleren Generation gerne mal mit Doppelnamen, das ganz junge Paar noch jeweils mit “eigenem” Nachnamen. Jede der Parteien bezieht eine der beiden lokalen Zeitungen, das gehört dazu.
Ganz vereinzelt liegt ein Kinderspielzeug im Garten, ein Kinderfahrrad rum. Die Gärten mehr geordnet. Die Gartenmöbel mit dunklem Holz und hellem Bezug oder Stühle mit strenger, gerader, senkrechter Lehne. Oft mehr auf Aussehen als auf Bequemlichkeit getrimmt. Nirgends diese unsäglichen weißen, Kunststoff Klepper Gartenklappmöbel, nicht ein mal eine Werzalit Tischplatte. Die Anzahl der Stuttgarter Automarken am Straßenrand verdichtet. Jetzt werden auch die “Kinderautos” edler. Mini,s ein paar VW up zur not auch dann Volvos. Alle nicht älter als ein geschätztes Jahr.
Immer wieder gibt es schon hier freie Blicke in den Stuttgarter Kessel. Kurz bevor ich die Bahn kreuze und die alte Weinsteige entlang laufe werden die Gärten, die Häuser anders. Alt. Irgendwelches Baum und Buschzeugs wächst durch Maschendraht oder drückt durch Lattenzäune. Die Gärten wie verwunschen, hier und da mal ein neu gekauftes Rosenstöckchen noch mit Preisschild, mitten auf dem Rasen. Eine verwitterte Gartenbank. Ein Obstbaum. Oft Kirsche.
Vor lauter Bewuchs kaum Platz um einen Grill oder Biertische aufzustellen. Die Jahreszeit dazu wäre jetzt. Die Kinder sind aus dem Haus, Enkel gibt’s noch keine. Dafür diese scheinbaren Gegensätze. An der Straße parkt der Chayenne, im Garten hängt die Wäsche auf der Leine. Schöne alte Häuser und an den Fenstern blättert der Lack. Zwei oder drei Autos auf dem Grundstück und am Haus ein Brombeer oder Himbeerbusch für Selbstversorger.
Zwanzig nach acht. Die Zacke quietscht vorbei. Ganz so ruhig ist’s dann vorm Haus doch nicht scheint mir. Auch erstaunlich, dass wirklich keine Leute unterwegs sind. Niemand joggt und Keiner führt seinen Hund zum Scheißen. Mein Smartphone fragt ob ich mich bei Ingineurbüro XY einchecken will ? Will ich nicht. Sowieso wird’s hier an der alten Weinsteige strange. Biofeedback Praxis. Oder Astropsychologische Beratung – die gelangweilte Gattin darf sich hier verwirklichen, Hauptsache etwas mit Esoterik. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wohnen ab hier nur noch Klingel, Briefe und Licht wenn ich den Beschriftungen trauen darf. Nur ein Einziger, ein Architekt ist plakativ stolz auf sich und seinen Namen und tut das mit einem großen Schild am Haus kund. Die Anderen bleiben anonym.
Italo Sound ! Ich bewundere die Italiener, ist es ihnen doch gelungen so wunderbare Instrumente wie eine 1979er Königswellen Ducati 900 SS (für s uper s port) herzustellen. Auch die gerade eben scheint gediegene 103 dB (A) aus den Conti Tüten zu entlassen. Dieses Motorrad hat genug Traktion um auf einen Zahnantrieb zu verzichten.Ich will mal wieder Motorradfahren. Vergesse fast dass ich am Vortag erst an einer Unfallstelle mit Zweirad vorbei gekommen bin. Egal, das wars für einen kurzen Augenblick mit der Stille.
Abgeblätterter Rosa Lack am Gartentor. Die Treppe dahinter eingefallen. Der Garten von dieser Seite aus gut renovierungsbedürftig. Ich mach mir nicht die Mühe, laufe nicht die Fritz-Münch-Staffel runter. Muss den Schneidermeister nachher erstmal googeln. Nehme mir so die Möglichkeit herauszubekommen wie das dazugehörige Haus aussieht. Die Zacke kommt mal wieder vorbei. Gleich um die Ecke ist die Begegnungsstelle, das Ausweichgleis. Haltestelle Wielandshöhe. Ich erwische noch ein paar Talblicke.
Nein, die Lidl-Tüte hat in dieser Gegend nichts verloren. Immerhin ist sie ordentlich auf der Restmülltonne abgelegt, und nicht auf der Papiertonne. Beobachtungen am Rande. Das extravagante Haus gegenüber werd ich mir gleich ansehen, zuerst geht’s noch bis zur Haltestelle Wielandshöhe. Bei Vinzent in seiner Wielandshöhe ist Ruhe, kein Topf klappert, kein Geschirr scheppert. Ich drehe um.
Ein Solarpanel auf der Gartenhütte. Hightech light, macht mir erst bewusst, dass ich auf den Häusern um mich rum so etwas nicht gesehen habe. Ist man hier so gut situiert, dass man auf die Solarförderung verzichten kann ? Oder gibt es restriktive Baubestimmungen ? Für was die in der Gartenhütte dieses Panel brauchen ? Ein Kühlschrank ? Licht ? Unten im Kessel hört man ein Martinshorn.
Jetzt die Haigststaffel hoch. Einige hier scheinen sich von den schwäbischen Tugenden und hier speziell von der Tugend der ordentlichen Kehrwoche emanzipiert zu haben. Ist der Gärtner oder der Hausmeister krank ? Mir egal ich wohn nicht hier, kann damit leben. Dann aber auch hier Zeichen des Stuttgart 21 Protestes. Immer noch Bäbber, immer noch Plakate. Ich stelle mir vor, auch gegen Stuttgart 21 zu sein, wenn ich hier ein Haus, zwei Autos und genug Kohle hätte. Ein Luxusproblem. Aber ja, ich wär auch gegen Stuttgart 21 oder würde Kehrwoche machen, weiß es noch nicht genau was.
Und ich wollt’ die Besitzer nicht durch Neid adeln. Kann ihn aber nicht unterdrücken. Dieses Haus ist mir schon bei meinem Wilhelmshöhenbesuch aufgefallen. Zuerst der Mamutbaum an der Seite, rechts davon ein Gebäude. Ein Geschoss wächst aus dem Hang. Gestützt von einer schmalen Säule links von einem massiveren eckigen Turm rechts. Vermutlich ist da ein Aufzug drin, das stell ich mir so vor.
Unter dem Wohntrakt eine große wettergeschützte Fläche. Der Blick muss bis ins Remstal, bis Ludwigsburg reichen. Ganz unten der Fuhrpark, der SUV des Stuttgarter Sportwagenbauers. Der neueste VW Floh für die große Tochter ? Darf heute der Freund der jüngeren hier übernachten ? Oder fährt ein jüngerer Sohn den Roller ? Kommen die Gäste mit der Bahn ?
Es quietscht, vor allem wenn die abwärts fahrende Bahn nochmal halten muss um für sich “grün” anzufordern bevor sie die Straße überquert. Das müssen die Anwohner doch hören. Ein Hubschrauber, Sonntag morgens um diese Zeit. Er landet irgend wo in der Nähe. Das Marienhospital hat Notdienst. Ich bin bald wieder unten, noch zwei Kurven dann werde ich wieder bei meinem Auto sein.
Ich folge noch kurz den abzweigenden Gleisen, eine mini Grünanlage, ein Klettergerüst für Kinder, ein paar Bänke. Zwei Köter üben synchronkacken. Das Herrchen des einen ist scharf auf das Frauchen des anderen. Ihre Viecher scheinen sie gerade nicht zu interessieren. Die Rampe, hier wird Theater gespielt. Der Hubschrauber hat abgeliefert, gewinnt an Höhe. Der Schornsteinfeger der hier sein Auto abstellt ist zertifiziert nach tausend Normen. Wer’s braucht.
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